Veganer Käse aus Kanada – echt jetzt?

Ich find’s ja gut, dass es immer mehr vegane Produkte auch in normalen Läden gibt. Ich bin ja einverstanden, dass es innerhalb des Kapitalismus besser ist, wenn die Tierindustrie weniger und die Hersteller pflanzlicher Nahrungsmittel mehr Geld bekommen. Aber man muss sich doch auch fragen, wo wir eigentlich hinwollen.

Heute war ich im Kaiser’s an der Hermannstraße in Neukölln. Da gibt es jetzt ein kleines Regal von Veganz plus einen Kühlschrank. Darin: Milchfreier Streukäse der Firma Daiya für 5,99 Euro pro 223 Gramm, importiert aus Kanada. Und große Gläser Mayonnaise, importiert aus den USA. Als ich kürzlich im Veganz war, habe ich schon über die langen Tiefkühltruhen mit den pflanzlichen Fleischprodukten gestaunt – importiert aus Kanada.

Leckerer pflanzP1050957licher Käse wird auch schon in Europa produziert. Pflanzenfleisch auch und vegane Mayo allemal. Die Sachen im Veganz-Regal sind noch nicht mal bio. Ernsthaft, kann mir jemand sagen, was daran noch irgendwie öko oder nachhaltig ist?

Wer denkt eigentlich, auch bei VeganerInnen, wirklich daran, dass die industrielle Landwirtschaft – z.B. die Erzeugung von Weizen – für Umwelt und auch für Wildtiere ziemlich katastrophal ist? Mineraldünger, Pestizide, da war doch mal was?

Für mich zeigt das Ganze einmal mehr, wie irrational der Kapitalismus ist. Natürlich auch in der veganen Variante. Wenn wir uns zusammensetzen und vernünftig überlegen würden, was wir für Nahrungsmittel brauchen und wie wir die am besten beschaffen, würde doch niemand auf die Idee kommen, Pflanzenfett von sonstwo in Kanada zusammenzurühren, um es dann nach Berlin zu transportieren, oder?

Dieser Irrationalismus begegnet einem ja überall. Zum Beispiel: In der Diskussion um TTIP wird als Pro-Argument für das Freihandelsabkommen angeführt, dass sich das Handelsvolumen zwischen den USA und Europa verdoppeln würde. Doppelt so viele Containerschiffe, doppelt so viele Flugzeuge, um Zeug hin- und herzubewegen, das zu wahrscheinlich 99% auch im jeweils eigenen Kontinent hergestellt wird und das man zu 100% zu einem guten Leben nicht braucht?

Zurück zum Daiya-Käse im Kaiser’s. Ich will klarerweise nicht sagen, dass wir lieber Kuhkäse essen sollten. Ich will sagen, dass wir darüber nachdenken müssen, wie wir eigentlich auf diesem Planeten leben wollen. Und wie wir uns als VeganerInnen verstehen wollen.

Ich bin es ehrlich gesagt auch satt, dass bei veganer Ernährung ständig von Avocado-Dipp, Bananensmoothie und Quinoa-Brei die Rede ist. Klar, das ist alles lecker, und wenn Leute dafür auf Salami verzichten, schön und gut. Aber das ist doch kein Konzept für die Zukunft!

Es geht mir nicht um Perfektionismus. Es geht mir überhaupt nicht um individuelles Konsumverhalten. Es ist ja nicht so, dass ich nie Avocados, Bananen oder anderen weitgereisten Quatsch kaufe. Und mir ist auch bewusst, dass sich in der gegenwärtigen Gesellschaft nicht jeder Mensch regionale Bioprodukte leisten kann und dass deren Erzeugung auch kein Märchenland ist. Das ist ja alles Teil des Problems.

Es geht um die Vision. Über die müssen wir mal reden! Und über den Weg dahin. Die Frage ist: Wie wollen wir eigentlich leben? Wie uns gegenüber anderen Menschen und Tieren verhalten? Wie wollen wir Nahrungsmittel erzeugen? Wie wollen wir deren Verteilung organisieren? Und wie schaffen wir es, dass wir irgendwann über diese Dinge überhaupt eigene und vernünftige Entscheidungen treffen, anstatt wie jetzt nur als KonsumentInnen auf die Irrationalitäten des Marktes reagieren zu können?

Der Daiya-Käse aus Kanada im Extrakühlschrank im Kaiser’s bringt uns bei diesem Prozess jedenfalls keinen Schritt weiter. Vielleicht im Gegenteil.

5 Replies to “Veganer Käse aus Kanada – echt jetzt?”

  1. Bin auch deiner Meinung – jetzt tauchen immer mehr dieser Veganz Regale in den Supermärkten auf, hauptsächlich mit Produkten aus Übersee, obwohl es für all diese gezeigten Produkte auch sehr gute europäische Alternativen gibt, zu einem viel günstigeren Preis, in Bioqualität und besserer Umweltbilanz – aber gut, wenn Leute das kaufen und sich die Supermärkte nicht besser informieren… echt schade…

  2. Wenn es dir nicht um individuelles Konsumverhalten geht und du nicht einverstanden bist mit dem, was Veganz so treibt, kann der nächste Schritt doch wohl nur folgendermaßen aussehen: Stelle Jan Bredack zur Rede, und zwar öffentlich! Wird doch wohl nicht so schwer sein, einfach mal von Tierrechtlerin zu “Tierrechtler” Tacheles zu reden, oder? Vielleicht klappt das Gespräch ja auch direkt in den Räumlichkeiten vom Veganz – vorausgesetzt, der Platz ist nicht gerade von einem Rüdiger Dahlke belegt.

  3. Ich stimme dir zu, dass die Entwicklung keine optimale ist, aber ich würde dir teilweise widersprechen und sagen, dass es für viele Produkte noch keine guten europäischen Alternativen gibt. Und wenn diese importierten Produkte Menschen zum Veganismus verhelfen, kann ich das nicht nur negativ sehen.

    Ich wollte noch kurz anmerken, dass ich nicht glaube, dass importierte Ökoprodukte so viel besser abschneiden, angesichts der tatsache, dass hier auch Pestizide gebraucht werden, diese jedoch “natürlicher” Art sind und weniger streng bis gar nicht kontrolliert werden.

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